Wundhygiene - neu gedacht, einfach gemacht!
Wissen & Downloads
Die Versorgung von Menschen mit chronischen oder schwerheilenden Wunden stellt Behandler immer wieder vor unterschiedlichste Herausforderungen. Neben den allgegenwärtigen Einschränkungen der personellen und finanziellen Ressourcen, sind es gerade infizierte oder infektgefährdete Wunden, die für Verzögerungen in der Wundheilung sorgen. Hilfreich ist dafür ein standardisierter Prozess, der einfach und sicher in der Anwendung ist.
In vier einfachen Schritten zur optimalen Wundversorgung
Ein internationales Expertengremium hat 2019 das Konzept der Wundhygiene entwickelt und als Konsensusdokument veröffentlicht. Dieses Konzept setzt dabei auf eine einfache, aber wirkungsvolle Idee, die darauf abzielt, das Verhalten aller Wundbehandler zu ändern. Es verfolgt eine Strategie der frühzeitigen Intervention, um Biofilm als Herausforderung bei chronischen und schwer heilenden Wunden anzugehen. Zentraler Punkt in dem Konzept ist die Beseitigung und das Verhindern der Neubildung von Biofilm in der Wunde.
Biofilm – Hindernis für die Wundheilung
Bei Biofilm handelt es sich um einen Zusammenschluss aus aeroben/anaeroben Bakterien und Pilzen, die sich in einer selbst gebildeten extrazellulären polymerischen Substanz (EPS) an Oberflächen anhaften. Die EPS ist eine Schleimmatrix z.B. aus Polysacchariden, Proteinen, Glykolipiden und bakterieller DNA. Sie dient als Grundlage für das Überleben und die Vermehrung der Erreger, da sie vor Phagozytose, Antibiotika, Antiseptika, Temperaturschwankungen und mechanischen Einflüssen (z. B. Wundspülung) schützt. Zudem erleichtert sie die Anhaftung an den Untergrund. Man geht davon aus, dass bis zu 78% der chronischen und bis zu 6% der akuten Wunden mit Biofilm belastet sind[1].
Die beschriebenen Schutzfunktionen des Biofilms erfordern einen konsequenten Ansatz zur Bekämpfung, zur Entfernung und zur nachhaltigen Vorbeugung gegen Biofilm. Hier setzt das Konzept der Wundhygiene mit vier einfachen Schritten zur erfolgreichen Wundhygiene an.
Vier Schritte der Wundhygiene
- Spülung und Reinigung
- Debridement
- Wundrandbehandlung
- Wundverband
Schritt 1: Spülung und Reinigung
Im ersten Schritt werden mittels Wundspüllösungen feuchte Wundbeläge, lose Ablagerungen, überschüssiges Exsudat sowie Verbandmittelreste/Fremdkörper von Wunde und wundumgebender Haut entfernt. Zur Anwendung bei chronischen oder schwer heilenden Wunden kommen in der Regel konservierte, antimikrobielle Wundspüllösung mit Tensiden oder Antiseptika, da es sich meist um infektgefährdete oder infizierte Wunden handelt. Der grundsätzliche Unterschied zu den als Arzneimittel zugelassenen Antiseptika besteht darin, dass konservierte Spüllösungen eine hauptsächlich physikalische Wirkung aufweisen, Antiseptika überwiegend pharmakologisch wirken. Beim Einsatz von Antiseptika wird der rein mechanische Effekt der Wundspülung durch die antiseptische Wirkung verstärkt. Erreger werden nicht nur ausgespült, sondern auch abgetötet. Die Indikation für den Einsatz von Wundantiseptika ist die infektgefährdete und infizierte Wunde. Antiseptika sollten nur zum Einsatz kommen, solange die Indikation besteht.
Um eine gute Wirkung zu erzielen, sollte ein Bereich von 10 bis 20 cm vom Wundrand bzw. den von der Wundauflage abgedeckten Areal gereinigt werden. Es sollte dabei mit so viel Druck gereinigt werden, wie der Patient aushalten kann, um eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Anwendung auf Grundlage der Leitlinien und einrichtungsinternen Standards auch unter der Beachtung der hygienischen Vorgaben des RKI erfolgt.
Schritt 2: Débridement
Der zweite Schritt des Wundhygiene beschäftigt sich mit dem Débridement. Als Débridement wird von der ICW die Entfernung von anhaftendem, abgestorbenem Gewebe, Krusten oder Fremdkörpern aus Wunden bezeichnet [2].
Hierfür stehen je nach Setting verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die in autolytisches, biochirurgisches, mechanisches, osmotisches, proteolytisches/enzymatisches und technisches Débridement unterschieden werden können.
Hinzu kommen das chirurgische und das scharfe Débridement, welche meist mit Skalpell, Ringkürette, Pinzette und/oder Präparierscheren durchgeführt werden (Siehe auch Positionspapier der Initiative Chronische Wunde (ICW) e.V. zur Nomenklatur des Débridements chronischer Wunden hier).
Das chirurgische Débridement bezeichnet die vollständige Abtragung von avitalem (abgestorbenem) Gewebe bis in das intakte Gewebe, wobei es zu Verletzungen und Blutungen kommt. Bei ausgeprägten Befunden sollte das chirurgische Débridement mit adäquater Anästhesie in einem OP erfolgen.
Das scharfe Débridement grenzt sich zum chirurgischen Débridement ab, indem die Maßnahmen lediglich bis an die Grenze des avitalen Gewebes in Wunden reichen. Da mit diesen Maßnahmen in der Regel keine 100 prozentige Abtragung des avitalen Gewebes erfolgt, kommt es hierbei meist nicht zu Blutungen. Für ein scharfes beziehungsweise chirurgisches Débridement werden meist Skalpell, Pinzette und/oder Präparierscheren verwendet. Dies ist - je nach Schmerzsituation des Patienten, Verfügbarkeit und Qualifikation der Mitarbeiters - meist die Methode der ersten Wahl, um möglichst rasch auch größere chronische Wunden zu debridieren.
Die Entscheidung, welche der oben genannten Möglichkeit zum Einsatz kommt, sollte individuell in Abhängigkeit von den zu behandelnden Patienten, aber auch von den Therapeuten getroffen werden. Die letztendliche individuelle Entscheidung für eine Methode sollte jeweils gemeinsam mit den Patienten getroffen und anschließend adäquat dokumentiert werden.
Schritt 3: Wundrandbehandlung
Als Wundrandbehandlung wird der dritte Schritt in dem Konzept bezeichnet. Als Wundrand wird die Grenze zwischen Wunde und intaktem Epithel bezeichnet. Ihm kommt in der Wundheilung eine wichtige Funktion zu, da von dort die Wundheilung ausgeht.
Der Biofilm ist am aktivsten an den Wundrändern, wo er das Einwachsen von neuem, gesundem Gewebe verhindern kann. Die Entfernung von Hornhaut, hyperkeratotischen Zelltrümmern und Zellen am Wundrand, die Biofilm beherbergen können, ist Voraussetzung für die Epithelisierung und Wundkontraktion.
Hierzu komme ähnliche Maßnahmen zum Einsatz wie sie bereits beim Débridement der Wundfläche beschrieben worden sind.
Die Wundränder sollten bei jedem Verbandwechsel beurteilt werden und eingerolltes, trockenes, hyperkeratotisches, nekrotisches Gewebe und Hornhaut entfernt werden. Um die Epithelisierung und Wundkontraktion vom Wundrand zu gewährleisten muss sichergestellt werden, dass die Wundränder mit dem Wundbett abschließen. Der Vergleich eines „guten“ Wundrandes mit einem seichten Sandstrand wird häufig genutzt. Im Gegensatz dazu werden steil aufragende Klippen vergleichend für einen „schlechten“ Wundrand angesehen.
Tipp: Denken Sie bei Wundrändern an Strände und Klippen...
Schritt 4: Wundverband
Im vierten und letzten Schritt kommen Wundauflagen zum Einsatz, die eine Neubildung von Biofilm verhindern oder verbliebenen Biofilm in der Wunde vernichten können. Diese Aufgabe wird im Allgemeinen der Produktgruppe der antimikrobiell wirksamen Wundauflagen (Ag oder PHMB) zugeschrieben.
Hier kommen zum Beispiel Wundauflagen zum Einsatz, die über sogenannte Anti-Biofilm Eigenschaften verfügen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie Biofilm durchbrechen und zerstören können – und damit die Neubildung von Biofilm reduzieren oder gar verhindern.
Wundauflagen alleine reichen allerdings nicht aus, um Biofilm zu entfernen, hierzu sollten alle 4 Schritte der Wundhygiene regelmäßig durchgeführt werden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die zukünftige Erstattungsfähigkeit dieser antimikrobiellen Produktgruppe, können auch andere Produktgruppen in die Überlegungen zur Biofilmreduktion einbezogen werden.
Wundauflagen, die Erreger sicher in sich aufnehmen und nicht wieder in die Wunde zurücklassen, oder an sich binden und inaktivieren, können als Alternative zu den antimikrobiell wirksamen Wundauflagen verwendet werden. Wundauflagen, die diese keimbindenden Eigenschaften aufweisen, sind unter anderem sogenannte Superabsorber (SAP). Sie nehmen mittels superabsorbierenden Polyacrylaten keimbelastetes Exsudat sicher auf und verwandeln es in ein stabiles Gel.
Eine andere Möglichkeit sind Wundfüller aus Hydrofasern aus Carboxymethylcellulose (CMC), die bei Kontakt mit Exsudat ein kohäsives Gel bilden, das Keime ebenfalls sicher einschließt. Beim nächsten Verbandwechsel werden die aufgenommenen Keime zusammen mit dem Wundfüller oder dem Superabsorber entsorgt, was zu einer Keimreduktion in der Wunde führt.
Wundheilung fördern durch alltagstaugliche Wundhygiene
Wundhygiene ist ein integratives Konzept mit dem Ziel, Wundhygiene greifbar, handhabbar und alltagstauglich zu machen und Wunden erfolgreich zu therapieren.
Bei der Versorgung von chronischen oder schwer heilenden Wunden sollen daher bei jedem Verbandwechsel die vier Schritte der Wundhygiene konsequent umgesetzt werden, um die Bildung von Biofilm zu verhindern oder zu minimieren. Jeder Schritt für sich allein betrachtet kann Biofilm nicht gänzlich entfernen oder dessen Neubildung verhindern. Als Konzept, in der gemeinsamen Anwendung, sind die vier Schritte sehr wohl in der Lage Biofilm effektiv zu bekämpfen und die Wunde auf die Wundheilung vorzubereiten.
Autor: Björn Jäger
Examinierter Krankenpfleger, Pflegetherapeut Wunde ICW, Freiberuflicher Dozent und Berater für Wundmanagement,
Leitung der Geschäftsstelle der ICW e.V. im Bereich Koordination und Außendarstellung
Haben Sie weitere Fragen zur Wundversorgung?
Beitrag teilen:
[1] Malone M, Swanson T. Biofilm-based wound care: the importance of debridement in biofilm treatment strategies. Br J Community Nurs. 2017; 22(Suppl 6): S20–S25.
[2] Dissemond et al: Positionspapier der Initiative Chronische Wunde (ICW) e. V. zur Nomenklatur des Débridements chronischer Wunden. Der Hautarzt volume 73, pages 369–375 (2022)
Blogs