Lokale Wundinfektionen frühzeitig erkennen und richtig behandeln
Bakterien leben nahezu auf allen Wunden. Neben einer harmlosen Kontamination können diese Bakterien aber mit zunehmender Zahl und Eindringtiefe auch zu Infektionskrankheiten mit stagnierender Wundheilung bis hin zu potenziell lebensbedrohlicher Sepsis („Blutstrominfektion“) führen.
Phasen einer Wundinfektion
Eine international weit verbreitete Einteilung von Wundinfektionen erfolgt orientiert an der Klassifikation des International Wound Infection Institutes (IWII).
Legende: Kontinuum der Wundinfektion (aus Dissemond Hautarzt 2021).
Für den Nachweis von Bakterien reicht im klinischen Alltag oft ein oberflächlich entnommener Abstrich aus. Wenn die Indikation eine Screening-Untersuchung, insbesondere für den Nachweis multiresistenter Erreger (MRE) wie beispielsweise Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) ist, sollte zuvor keine Wundsäuberung erfolgen. Bei klinischem Verdacht auf eine Wundinfektion, sollte die Wunde vor der bakteriologischen Diagnostik z. B. mit steriler physiologischer Kochsalz- oder Ringer-Lösung und sterilen Kompressen gereinigt werden, um klinisch nicht relevante Kontaminanten zu entfernen. Biopsien für die Erregerdiagnostik sollten bei tieferen Ulcerationen, z.B. diabetisches Fußulcus, schweren Weichgewebeinfektionen, Fistelgewebe oder V.a. spezifische Erreger wie z. B. Mykobakterien, Leishmanien oder Schimmelpilzen erfolgen.
Risikoeinschätzung infektionsgefährdeter Wunden
Um das individuelle Risiko für Wundinfektionen von Patienten besser abschätzen zu können, wurde von einer interdisziplinären Expertengruppe der Wounds-at-Risk (W.A.R.) Score entwickelt. Der W.A.R.-Score ist ein klinischer Test, bei dem anhand anamnestischer und klinischer Kriterien von Wundpatienten Punktwerte vergeben werden. Ab einem Gesamtwert ≥3 ist eine antimikrobielle Wundbehandlung empfohlen.
Legende: Einstufung infektionsgefährdeter Wunden mittels W.A.R. Score.
1 Risikopunkt
- Erworbene immunsuppressive Erkrankung, z. B. Diabetes mellitus
- Erworbener Immundefekt durch medikamentöse Therapie wie Ciclosporin, Methotrexat, Glukokortikoide, Antikörper
- Erkrankungen mit soliden Tumoren
- Hämatologische Systemerkrankung
- Postchirurgische Wundheilungsstörung, welche zu (ungeplanter) Sekundärheilung führt
- Durch Lokalisation besonders keimbelastete Wunden, z. B. Perineum, Genitale
- Problematische hygienische Bedingungen durch soziales oder berufliches Umfeld, z. B. Landwirte, LKW Fahrer
- Lebensalter ≥80
- Geringeres Lebensalter des Patienten, z. B. Frühgeborene, Babys, Kleinkinder
- Bestehensdauer der Wunde >1 Jahr
- Wundgröße ≥10 cm2
- Chronische Wunden aller Kausalitäten mit einer Tiefe >1,5 cm
- Stationärer Langzeitaufenthalt des Patienten >3 Wochen
2 Risikopunkte
- Schwere erworbene Immundefekte, z. B. HIV-Infektion
- Stark verschmutze Akutwunden
- Biss-, Stich- und Schusswunden zwischen 1,5 und 3,5 cm Tiefe
3 Risikopunkte
- Verbrennungswunden mit Beteiligung von >15% Körperoberfläche
- Wunden, welche eine direkte Verbindung zu Organen oder Funktionsstrukturen aufweisen, z. B. auch Gelenke bzw. körperfremdes Material enthalten
- Schwerste, angeborene Immundefekte wie beispielsweise Agammaglobulinämie, schwere kombinierte Immundefekte (SCID)
- Biss-, Stich- und Schusswunden >3,5 cm Tiefe
Diagnostik lokaler Wundinfektionen
Wenn der klinische Verdacht auf eine Wundinfektion besteht, ist es wichtig zu unterscheiden, ob bereits eine klinisch relevante lokale oder systemische Wundinfektion vorliegt. Der ursprünglich 2019 entwickelte und 2021 überarbeitete Therapeutische Index für lokale Infektionen (TILI) Score ist ein einfach anzuwendendes Instrument, das eine Hilfe für die rasche Diagnostik lokaler Wundinfektionen im klinischen Alltag darstellt.
Legende: TILI-Score für die Diagnostik lokaler Wundinfektionen.
Keine direkte Indikation
- Periläsionales Erythem
- Überwärmung
- Ödem, Verhärtung oder Schwellung
- Spontaner Schmerz oder Druckschmerz*
- Stagnation der Wundheilung
- Anstieg und/oder Änderung der Farbe oder des Geruchs des Exsudats
Direkte Indikation
- Nachweis potentiell pathogener Mikroorganismen#
- Chirurgische septische Wunde
- Freier Eiter
*Vorsicht bei Patienten mit Polyneuropathie oder bei Einnahme von Schmerzmitteln.
#Dies kann in verschiedenen Ländern und Institutionen sehr unterschiedlich sein. Ein Beispiel ist der Nachweis von multiresistenten Bakterien wie Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA).
Der validierte Score weist auf die Notwendigkeit einer antimikrobiellen Wundtherapie hin, wenn mindestens 5 der 6 unspezifischen Parameter (indirekte Indikation) oder einer der Parameter aus der direkten Indikation positiv sind.
Wenn der Verdacht auf eine systemische Infektion vorliegt, sollte die Vitalparameter arterieller Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Körpertemperatur bestimmt werden. Zudem sollte auch Blut abgenommen und zumindest ein Blutbild sowie CRP (C-reaktive Protein) bestimmt werden, bei Verdacht auf beginnende Sepsis wird zudem das PCT (Procalcitonin) gemessen.
Schnelldiagnostik einer Sepsis
Eine Ersteinschätzung bei Verdacht auf Sepsis kann im klinischen Alltag mit dem quick Sepsis-related Organ Failure Assessment (qSOFA) Score schnell und unkompliziert ermittelt werden. Der Verdacht auf Sepsis liegt vor, wenn mindestens zwei der Kriterien erfüllt sind.
Legende: qSOFA Score für die Ersteinschätzung einer Sepsis.
- Atemfrequenz: ≥ 22/Minute (Tachypnoe)
- Bewusstseinsveränderung: Glasgow-Koma-Skala* < 15
- Systolischer Blutdruck: ≤ 100 mmHg (Hypotonie)
Behandlung infizierter Wunden
Wundspülung und/oder Débridement Wundspülung sind oft der erste Schritt einer phasengerechten modernen Wundbehandlung. Hier kann oft schon sehr gut ein Großteil der Bakterien entfernt werden. Systemische Antibiotikatherapie sind meist ausschließlich bei Patienten mit systemischen Infektionen indiziert. Für die Infektionsprophylaxe, die Eradikation multiresistenter Erreger (MRE) oder die Behandlung lokaler Infektionen, können in der Lokaltherapie chronischer Wunden verschiedene antimikrobiell wirksame Wirkstoffe als Lösungen oder Wundverbände zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Allerdings sollte die Notwendigkeit einer antimikrobiellen Wundtherapie nach 10-14 Tagen kritisch überprüft werden.
Legende: Aktuelle Expertenempfehlung zur indikationsabhängigen Auswahl antimikrobieller Wirkstoffe.
Abkürzungen: PHMB - Polihexanid, NaOCl/HOCl - Natriumhypochlorit/hypochlorige Säure, OCT - Octenidindihydrochlorid, OCT/PE - Octenidindihydrochlorid/Phenoxyethanol, PVP-Iod - Povidon-Iod, MRE - multiresistente Erreger, ZNS - Zentralnervensystem.
Bei der Nutzung antimikrobieller Wundtherapien sind insbesondere bei den flüssigen Zubereitungen ausreichende Mengen und Einwirkzeiten (z.B. Octenidin 1-2 Minuten, Polihexanid 10-20 Minuten) zu beachten.
Fazit für die Praxis
Wundinfektionen sind ein multidisziplinäres Problem und können, insbesondere bei Patienten mit chronischen Wunden, wie beispielsweise Ulcus cruris (venosum), Dekubitus oder diabetischem Fußulcus (DFU), zu zahlreichen Komplikationen führen. Daher sollten diese Wundinfektionen möglichst frühzeitig diagnostiziert und adäquat therapiert werden.
Autor:
Prof. Dr. med. Joachim Dissemond
Oberarzt, und u.a. ärztlicher Leiter der zertifizierten dermatologischen Wundambulanz.
Klinik und Poliklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Universitätsklinikum Essen
Sie wollen keine Fachartikel verpassen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Hier geht's zum Online-Formular.
Blogs