Können Reimporte meine Gesundheit gefährden?
In der Corona-Pandemie haben viele Menschen das grenzenlose Einkaufen im World Wide Web entdeckt und sie staunen über teilweise erhebliche Preisunterschiede in den verschiedenen Ländern. Beim Autokauf kann ich durch einen Reimport mehrere tausend Euro sparen und vertraue dem Händler oder der Händlerin, dass das Auto sicher ist. Apotheken müssen sogar eine Reimportquote bei Arzneimitteln einhalten und auch hier vertraue ich auf die Qualität und merke hoffentlich gar keinen Unterschied.
Aber was ist mit so genannten Reimporten bei Medizinprodukten? Ist es nicht völlig egal, ob ein Verbandmittel in der EU produziert oder aus irgendeinem Land auf der Welt in die EU zurückgeholt, also reimportiert, wird? Warum daraus Gefahren für Anwenderinnen und Anwender sowie Patientinnen und Patienten entstehen können und wie er das in Zukunft vermeiden will, erklärt Andreas Kuhn, Geschäftsführer der ConvaTec (Germany) GmbH.
Herr Kuhn, worum geht es bei den so genannten Reimporten?
Andreas Kuhn: Zuerst einmal muss ich die Begriffe einordnen: Das seit dem 26. Mai 2021 nun endlich geltende Gesetz, die MDR (Medical Device Regulation), kennt weder Re- noch Parallelimporteure, sondern nur Importeure. Wenn diese ihre Pflichten einhalten, die sie nach der MDR haben, also beispielsweise auf dem Medizinprodukt als Importunternehmen gekennzeichnet sind und dies uns als Hersteller und der zuständigen Behörde rechtzeitig anzeigen, dann ist das okay.
Aber Sie kritisieren die Regelung auch?
Andreas Kuhn: Ich kritisiere diejenigen Importunternehmen oder auch Händlerinnen und Händler, die ihre Pflichten nicht einhalten und irgendwo auf dieser Welt Medizinprodukte zu den dort teilweise günstigeren Preisen den Betroffenen wegkaufen. Sie machen in Deutschland ohne großen Aufwand und Verantwortung ein nicht unerhebliches Geschäft. Wenn sie dann noch damit argumentieren, Lieferengpässe zu überbrücken und Versorgungssicherheit zu gewährleisten oder gar zu einer Kostenentlastung hierzulande beizutragen, dann habe ich genau damit ein Problem. Das ist scheinheilig.
Aber ist das nicht inzwischen normal und Folge des World Wide Web, mit einem Klick auf meinem Laptop bestelle ich im entferntesten Zipfel dieser Erde. Wo ist das Problem?
Andreas Kuhn: Das Medizinprodukt Verbandmittel muss ja in die Apotheke, in den Fachhandel und letztlich zu Patientinnen und Patienten gelangen. Auf dem langen Weg müssen nicht nur die Lager- und Transportbedingungen eingehalten werden. Die Importierenden haben eine ganze Reihe weiterer Pflichten, die zu erfüllen sind, weil es sich um ein Medizinprodukt handelt.
Was muss denn im Detail alles beachtet werden?
Andreas Kuhn: Es müssen verschiedene Produktkennzeichnungen wie das europäische CE-Kennzeichen, die Produktidentifizierungsnummer UDI und Konformitätserklärung überprüft werden, außerdem, ob eine deutsche Gebrauchsanweisung beiliegt. Und das Importunternehmen oder die Händlerinnen und Händler müssen sich selbst und die produktbezogene Tätigkeit auf dem Produkt kennzeichnen. Dies muss uns als Hersteller und der zuständigen Behörde auch rechtzeitig angezeigt werden. Ganz wichtig für die Qualität ist auch: Im Überseecontainer oder auf der LKW-Ladefläche müssen trotz Eiseskälte oder Gluthitze beispielsweise Temperaturvorgaben eingehalten werden. Das ist nicht zu unterschätzen. Wird das nicht beachtet, kann etwa die Haftfähigkeit eines Wundverbandes beeinträchtigt werden. Feuchtigkeit oder der Verlu st der Sterilität können sogar zu einer Gefahr für Patientinnen und Patienten werden.
Herr Kuhn, ich möchte zurückkommen auf die günstigen Preise und Ihren Vorwurf des „Wegkaufens“. Bedauern Sie nicht eher, dass Sie weniger Gewinn machen können?
Andreas Kuhn: Nein. Ich sehe zuerst einmal den Schaden, dass wirtschaftlich wesentlich schwächeren Ländern die günstigen Produkte weggekauft werden. Sie stehen damit dort nicht mehr für die Patientinnen und Patienten zur Verfügung. Das ist ethisch nicht akzeptabel. Natürlich haben auch wir ein Problem, denn in unserer Kalkulation müssen wir auch Kosten für Forschung und Entwicklung, den Vertrieb sowie Schulung und Anwendungsberatung durch unseren geschulten Außendienst berücksichtigen. All diese Kosten haben Importunternehmen oder Händlerinnen und Händler nicht.
Was bedeutet das für die Anwendung Ihrer Produkte?
Andreas Kuhn: Für sie, also Ärztinnen und Ärzte, versorgende Fachkräfte und besonders für Patienten und Patientinnen ist es sehr verwirrend, etwa eine offensichtlich für den französischen Markt gedachte Packung in den Händen zu halten, in der nicht mal eine deutsche Gebrauchsanweisung steckt. So ein Produkt ist aus reiner Gewinngier von einem Händler oder einer Händlerin verschoben worden. Die interessiert meist nicht das ethische Produkt, das Menschen helfen soll, sondern ausschließlich der Gewinn. Deswegen bieten solche Unternehmen auch nur sehr wenige, für sie Gewinn bringende Produkte an, oft ohne jeglichen zusätzlichen Service oder Beratung.
Wie groß ist denn der finanzielle Schaden, wenn die günstigeren Preise für wirtschaftlich schwächere Länder ausgenutzt werden?
Andreas Kuhn: Dieser lässt sich relativ genau berechnen. Für unseren Wundverband „AQUACEL® Extra“ in der Größe 10x10 Zentimeter geht uns ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag an Einnahmen verloren, pro Jahr. Insgesamt entsteht uns besonders bei acht Hauptprodukten ein hoher wirtschaftlicher Schaden. Wir können das deshalb sehr genau sehen, weil wir wissen, wie viele Rezepte ausgestellt werden und was davon letztlich bei uns in Deutschland eingekauft wird. Da besteht eine große Lücke.
Und wie wollen Sie dies zukünftig verhindern?
Andreas Kuhn: Hundertprozentig verhindern können wir dies sicherlich nicht. Es gibt immer wieder Menschen, die nur ihren eigenen Vorteil sehen, auf Kosten oder zu Lasten anderer – aber wir wollen Bewusstsein und Aufmerksamkeit schaffen. Wir wollen darauf hinweisen, für wen diese Produkte eigentlich gedacht sind.
Wie genau sieht Ihre Lösung aus?
Andreas Kuhn: ConvaTec Germany stellt im ersten Schritt acht unserer volumenstärksten Produkte nur für den deutschsprachigen Raum her, also für Deutschland, Österreich, die Schweiz, Belgien und Luxemburg. Das machen wir mit den Länderflaggen auf der Packung auch deutlich. Die Gebrauchsanweisung ist nun keine übergroße Tapete mit bis zu 27 Sprachen mehr, sondern enthält nur die für diese Länder relevanten Sprachen. Von den Gebrauchsanweisungen der Packungen anderer Länder verschwinden die Angaben in Deutsch natürlich. Damit wollen wir Apotheken, dem Fachhandel sowie Patientinnen und Patienten die nötige Qualität, Sicherheit und Transparenz gewährleisten. Wir zeigen ihnen damit: Diese Packungen sind direkt für euch bestimmt, hergestellt und kalkuliert.
Herr Kuhn, herzlichen Dank für dieses Gespräch. Hoffen wir einmal auf Rücksicht aller Beteiligten und darauf, dass die günstigeren Produkte auch in den wirtschaftlich schwächeren Ländern bleiben und den dortigen Patientinnen und Patienten zu Gute kommen.
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